Jakobsweg

12. Tag

Güemes – Santander 15 Km (5,5 Stunden)

Nachdem ich schon gestern starke Schmerzen an den Außenseiten der Unterschenkel hatte, zog ich heute in Erwägung einen weiteren Tag in Güemes zu bleiben. Nach dem Frühstück am Morgen testete ich also vor der Herberge meine Beine und lief ca. 10 Minuten auf und ab und stellte freudig fest, dass die Schmerzen nur noch unwesentlich vorhanden waren. Ich entschied mich also den Weg nach Santander in Angriff zu nehmen, da er mit nur 15 Km Gesamtstrecke zudem zu einer der kürzeren Etappen zählt. Ich lief heute relativ spät los und war dadurch alleine unterwegs, was ich sehr genoss. Ich war relaxt und sehr bei mir und bekam landschaftlich ein Highlight nach dem anderen geboten. Zu den Gedanken, die mir hierbei durch den Kopf gingen, komme ich später noch.

Nach ca. 4 Kilometern meldeten sich die Schmerzen in den Unterschenkeln zurück und erschwerten das Gehen zusehends. Irgendwann durften (in meinem Fall mussten) wir Pilger an einem langgezogenen Sandstrand für ca. 3 Km entlanglaufen und spätestens hier begann die Qual für mich. Nur noch in Trippelschritten konnte ich mich fortbewegen und die Schmerzen waren nun nur noch schwer zu ertragen. Ich war alleine an einem wunderschönen Sandstrand und konnte schlichtweg nicht mehr gehen. Man kann aber nicht eben mal stehen bleiben und auf den nächsten Bus warten und so quälte ich mich Meter um Meter voran bis ich endlich an der Fähre angekommen war, die mich nach Santander rüber brachte. Die 10 Minuten Überfahrt waren dann auch eine kleine Wohltat und in Santander angekommen musste ich „nur“ noch ca. 1 Km zu meiner Unterkunft gehen. Dies ist heute keine Pilgerherberge sondern eine Pension mit Einzelzimmer, da heute schon fest steht, dass ich Morgen definitiv nicht laufen werde/kann . Heute Abend habe ich die komplette Reiseapotheke ausgepackt und versuche nun alles, um die Schmerzen in den Beinen in den Griff zu bekommen. Es geht mir auch gar nicht um die Pause, die ich jetzt hier in Santander einlegen muss sondern um die Angst meinen Weg nicht fortführen zu können. Sollte eine Knochenhautentzündung oder eine Sehnenentzündung vorliegen, könnte es das Aus bedeuten. Ich wünsche mir allerdings nichts mehr auf dieser Welt als meinen Weg fortführen zu können und es würde mir das Herz brechen, wenn ich nicht bis Santiago laufen könnte. Noch versuche ich einigermaßen optimistisch zu bleiben und hoffe mit etwas Schonung wieder auf meine Beine zählen zu können. Wenn ich nur einen Wunsch frei habe dann lass mich bitte diesen Weg zu Ende bringen!

Was bewegte mich ansonsten heute auf meiner Etappe? Vor zwei Tagen in Laredo kam ich in der Pilgerherberge an und wurde in einem Zweibettzimmer mit dem 18 jährigen Dänen Alfred untergebracht. Der junge Däne stellte sich als sehr relaxt und unbekümmert heraus und es gab keinerlei Probleme in unserer kurzzeitigen „Wohngemeinschaft“. Am nächsten Tag ging jeder dann auch wieder seinen eigenen Weg und wie der Zufall (nein, es sind natürlich keine Zufälle) so will, saß er mir heute Morgen plötzlich beim Frühstück wieder gegenüber. An wen erinnert er mich nur? Er kam mir von Anfang an sehr bekannt und vertraut vor. Auf meinem Weg entlang der Küste heute Morgen wusste ich plötzlich an wen er mich erinnert. Er erinnert mich an mich selbst, als ich noch ein unbekümmerter Jugendlicher war. Wo ist nur diese Unbekümmertheit von mir geblieben? Ich vermisse diesen Teil von mir und ich glaube tatsächlich, dass ich ihn heute Morgen mal wieder zu sehen bekam. Alfred und ich kamen nicht zufällig in ein gemeinsames Zimmer, vielmehr zeigte er mir gleich drei wunderbare Dinge.

1. Wie schön es ist manchmal relaxt und unbekümmert zu sein.

2. Ab und zu einfach zu genießen und im hier und jetzt zu leben (Alfred ist die gleiche Strecke wie ich gelaufen, nur eben in 11 Tagen mehr)

3. Alfred lief mir heute Nachmittag tatsächlich noch ein weiteres Mal über den Weg und anscheinend hat es zwischen ihm und der 21 jährigen Italienerin gefunkt. Beide liefen dicht nebeneinander her und küssten sich immer wieder ganz liebevoll. Ja, ich möchte mich auch gerne mal wieder verlieben und wer weiß, vielleicht werde ich hier in Santander einfach nur zu einer Pause gezwungen, weil der richtige Mensch für mich aktuell noch 1-2 Etappen hinter mir läuft.

Fazit des Tages: Relaxtsein und Unbekümmertheit sind gute Verhaltensoptionen und erzielen ggf. das gleiche Ergebnis.

Memo an mich: vertraue darauf, dass Du den Camino zu Ende laufen darfst und sei offen und bereit für eine neue Liebe

4 Kommentare

  • Julia

    Hallo Andreas,
    es hat alles seinen Sinn! Gönn dir einen Tag Ruhe! Man weiß nie, für was es gut ist. Ich drück dir die Daumen, dass es nichts Schlimmes ist und nur dein Körper dich zur Ruhe zwingt. Bedenke DER WEG IST DAS ZIEL!
    DU hast schon so viel in deinem Leben geschafft und wirst es wieder schaffen.
    Und die LIEBE kommt sicher auch.
    Liebe Grüße aus der Pfalz
    Julia

    • Yasmine

      Lieber Andreas,
      es war natürlich kein Zufall, Alfred zu treffen..
      Lebe also, wie er es dir gezeigt hat, und wie du es ja heute auch machst, im hier und jetzt!
      Du machst heute Pause, erholst dich von den Strapazen, den physischen UND den psychischen, schalte bewusst ab und lass heute Anderes zu…
      Male oder schlafe oder trinke Kaffee oder unterhalte dich oder setze dich an den Strand und schaue aufs Meer raus, vielleicht hast du ein eBook dabei… Lass andere Gedanken zu, das ist der tiefere Sinn dieses Tages.
      Die Antwort, ob du und wann du weitergehen kannst und wirst, kommt zu dir, lerne Geduld, halte inne und warte – so, wie du es zufälligerweise ? heute gerade machst…
      Wünsche erfüllen sich manchmal gleich, manchmal später, manchmal nie
      Dennoch wünschen wir uns Menschen immer wieder Dinge; das ist auch gut so, dabei üben und lernen wir Verhaltensoptionen wie Geduld, Enttäuschung, Mut und Freude…

      Deine Yasmine,
      die gerade entschieden hat, beim heutigen Volkslauf, trotz Vorhabens wie sonst jedes Jahr, NICHT zu laufen.. Und diese, mir sehr schwer gefallene Entscheidung nicht als Niederlage zu sehen, sondern vielmehr diese Entscheidung mit einem guten Gefühl zu treffen… Denn Zuvieles spricht heute leider dagegen… Hoffentlich weiß ich bald, warum es heute so kam…

  • Stefanie

    Ich drücke dir ganz doll die Daumen, dass du deinen Weg zu Ende laufen kannst! Super schöne Gedanken zur Unbekümmertheit und zum Vertrauen, so wahr. Ganz herzliche Grüße, Stef

  • Hans Gundermann

    Drück dir die Daumen das du weiter laufen kannst nimm dir die ZEIT die du brauchst übernimm dich nicht jeder hat seinen Rhythmus und Tempo ganz liebe Grüße Hans und Christine

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