27. Tag
Avilés – Muros de Nalon 23 Km (6 Stunden)
Es war heute eine sehr schöne und gleichzeitig auch sehr emotionale Etappe. Nach der gestrigen eher nüchternen Tageswanderung und einer Pilgerherberge im unteren Niveaubereich fiel mir der Start am frühen Morgen zunächst noch schwer. Mein Körper spürt die Anstrengungen der letzten Wochen deutlich und so brauchte es ca. eine halbe Stunde bis ich neuen Elan für die heutige Strecke aufbringen konnte. Einmal im Laufen fand ich aber schnell wieder gefallen und genoss zusehends die schönen Landschaften, die sich mir boten.
Kaum aus der Unterkunft raus und den ersten Milchkaffee an einer Bar getrunken, viel mir plötzlich auf, dass ich meine Stöcke in der Unterkunft hatte stehen lassen. Ich also wieder zurück zur Herberge und da stand ich nun vor verschlossenen Türen und kam nicht mehr rein. Meine treuen Begleiter, die ich zwischendurch mit den Griffen auch immer noch als Massagegerät für meine Beine genutzt hatte, waren verloren und ich musste mich nun ohne meine Stöcke auf den Weg machen.
Auf der Strecke die Landschaft genießend war mir auf einmal nach Musik und so suchte ich kurzerhand auf Youtube nach einem Lied und ohne einen bestimmten Interpreten oder Song einzugeben wurde mir plötzlich ein Lied namens „spirit bird“ vorgeschlagen, den ich kurzerhand auch einfach mal anklickte. Der Song löste ganz tief in mir etwas aus und obwohl es mir sehr gut ging, musste ich plötzlich heftigst weinen. Da war plötzlich ein tiefer Schmerz, der aus mir raus wollte und den ich in den folgenden 30 Minuten auch abweinte. Es ging mir ja gut und ich war in dieser wundervollen Landschaft und parallel war da auch dieses starke schmerzende Gefühl. Es war ein großes Gefühlschaos und inmitten dieser Situation stellte ich fest, dass ich neben meinen Stöcken auch noch meinen Massageball, den ich mir zum Lockern meiner Muskulatur gekauft hatte ebenfalls in der letzten Herberge hatte liegen lassen. Zunächst schien es um den Verlust dieses simplen Gegenstandes zu gehen, was natürlich nicht stimmte und was mir auch schnell klar wurde. Es ging hier generell um Verlust und konkret ging es um den Verlust meiner großen Liebe. Da ich heute sicher weiß, dass ich sehr geliebt habe und ich daher auch bereit bin diese Liebe loszulassen, traue ich mich es auch zu benennen. Ohne damit irgendetwas zurück holen zu wollen und ganz ohne eine Erwartungshaltung möchte ich es sagen dürfen: Ich habe Dich sehr geliebt.
Warum mir heute mit den Wanderstöcken und dem Massageball gleich beide Hilfen für meine angeschlagenen Beine genommen wurde ist mir hingegen noch nicht ganz klar. Benötige ich evtl. keine Hilfe mehr oder werde ich noch einmal zu einer Pause „gezwungen“, um noch einmal über irgendetwas nachdenken zu können? Ich werde es sehen denn es wird eh wieder kommen, wie es kommen soll.
Fazit des Tages: Auch Trauer ist ein Gefühl, welches gelebt werden darf und für das es keine Vorgaben gibt.
Memo an mich: Lass Deine Gefühle in ihrer ganzen Vielfalt zu, nehme sie wahr und werte sie nicht. Es sind Deine Gefühle und es geht nicht um richtig oder falsch.