Jakobsweg

Die Woche danach…

Ich kam Zuhause an, legte meinen Rucksack im Flur auf dem Boden ab und schaute mich erst einmal in meiner eigenen Wohnung um und kam mir dabei seltsam fremd vor. Nach einiger Zeit blieb mein Blick schließlich auf meinem Backpack hängen und in diesem Moment fühlte ich, wie sehr er in den letzten Wochen zu meinem Zuhause geworden war. Der Rucksack, von dem ich anfangs nicht einmal wusste, wo und wie man ihn verstellen konnte, war sechs Wochen lang alles gewesen was ich hatte und überraschenderweise hatte ich nichts von all den anderen Dingen unterwegs vermisst. Da gab es zwei Paar Socken, zwei Boxerbriefs, ein Regenponcho, eine Shorts, eine Fleece- und eine Regenjacke und zwei T-Shirts. Morgens konnte ich wählen, ob ich lieber das dezentere grün oder doch lieber das auffälligere hellblau gestreifte Shirt tragen wollte wobei selbst diese Auswahl manchmal nicht bestand, weil ich am Vortag nicht mehr die Muse hatte mein getragenes Shirt in der Pilgerherberge zu waschen. Dennoch fehlte es mir an nichts und beim Sichten meiner eigenen Fotos habe ich festgestellt, dass ich auf fast jedem Foto lache. Ja, ich war sechs Wochen lang extrem glücklich und zufrieden und auch Regen oder Schmerzen konnten mich nicht davon abhalten das Abenteuer Jakobsweg von Anfang bis Ende in vollen Zügen zu genießen.

Nach der ersten Nacht im eigenen Bett wachte ich relativ früh morgens auf, auch wenn keine Holländerin bereits um 6:00 das Einpacken ihres Rucksacks zelebrierte und auch keine Etappe über 20 und mehr Kilometer anstand. Auch sonst hatte ich keinerlei Verpflichtungen und dennoch tickte meine innere Uhr nach sechs Wochen Pilgern mittlerweile anders.

Da stand ich also nun im Schlafzimmer vor meiner Kleiderstange und ging die ganzen T-Shirts durch und am Liebsten wäre ich einfach raus auf den Flur an den Rucksack gegangen und hätte mir dort eins meiner zwei Shirts raus gezogen. Ich hatte mich auf meiner Reise also schnell an den Minimalismus gewöhnt und überraschenderweise auch nie etwas dabei vermisst.

Was Zuhause allerdings unverändert blieb, ist diese neugewonnene innere Ruhe. Aktuell gelingt es mir besser denn je zuvor, auf mich und meine Bedürfnisse zu achten und mittlerweile komme ich selbst auch an erster Stelle. Ich achte darauf, was ich möchte oder gegebenenfalls auch nicht möchte. Wenn ich selbst dafür Sorge trage, dass es mir gut geht dann braucht es auch keine Kompensation im Außen und damit verknüpft auch keine Erwartungshaltungen, die das Gegenüber vielleicht gar nicht erfüllen kann oder will.

Ich genieße es Zeit mit mir alleine zu haben und ich habe seit einer Woche weder Zeitung gelesen, noch den Fernseher eingeschaltet. Aktuell brauche ich es schlichtweg nicht und ich nutze die Zeit lieber für einen Besuch am See, ein gutes Glas Wein an einer Bar, Freunde zu treffen, ein Buch zu lesen oder einfach bewusst wahr zu nehmen wie es mir in diesem Augenblick gerade geht.

Lange Zeit hatte ich diese innere Unruhe und ich genieße es, so ruhig und ausgeglichen zu sein und gleichzeitig fällt mir auf, wie schnell und gut ich plötzlich auch im Außen in Kontakt komme. Dabei ist und bleibt für mich eins der spannendsten Themen unserer heutigen Gesellschaft das Thema „Kommunikation“. Immer wieder habe ich beobachtet bzw. selbst erfahren, wie zwei Menschen der Meinung waren klar miteinander kommuniziert zu haben und dennoch war auf der einen Seite was komplett anderes angekommen, als auf der Anderen. Nur weil für uns etwas ganz klar ist, bedeutet das noch lange nicht, dass dies auf der anderen Seite ganz genau so klar ist. Sender und Empfänger müssen nicht automatisch auf der gleichen Wellenlänge „funken“ und die modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie WhatsApp und Co machen das Ganze nicht unbedingt leichter für uns. Was uns bei diesen Kommunikationsmitteln zum Beispiel fehlt, ist die dazugehörige Gestik und Mimik des Gegenüber. Das geschriebene Wort kann beim Empfänger komplett anders ankommen als das Gesprochene bzw. kann durch die Gedanken des Empfängers in eine ganz eigene Version verwandelt werden.

Nach den sechs Wochen Pilgerreise wurde mir klar, wie oft und viel ich mir Gedanken über die verschiedensten Themen gemacht habe, die in der Zukunft lagen und meist auch gar nicht von mir alleine beeinflusst werden konnten. „Was denkt Sie, wenn ich jetzt noch Absage?“, „Er ist bestimmt sehr enttäuscht, wenn ich jetzt nicht dieses oder jenes tue“…. so oder so ähnlich kreieren wir ständig die unterschiedlichsten Szenarien in unserem Kopf, die uns immer weiter von uns selbst und unseren eigenen Bedürfnissen bringen. Warum sagen wir z. B. nicht einfach mal „nein“ und warum meinen wir uns so oft rechtfertigen zu müssen? Ich will und muss Niemandem vor den Kopf stoßen, aber vielleicht passt es gerade nicht, jemanden zu besuchen oder anzurufen und warum sollte es der anderen Person zu einem anderen Zeitpunkt nicht auch einmal genauso ergehen? Vielleicht habe ich zum Geburtstag eingeladen und mich auch auf die Gäste gefreut und vielleicht hat die andere Person mir im Vorfeld auch schon zugesagt, aber könnte es dennoch sein, dass diese Person einen schwierigen Tag oder gar eine schwierige Phase hatte und ihr nun so gar nicht nach Gesellschaft zumute sein? Darf diese Person nicht einfach nur „nein danke“ sagen ohne sich groß erklären zu müssen und sollten wir nicht einfach darauf vertrauen, dass dieses „nein“ nicht gegen uns gerichtet ist? Sollte es unserem Ego nicht einfach mal gelingen ein „nein“ zu verkraften ohne gleich an uns selbst zu zweifeln?

Ich bin wie gesagt sehr bei mir angekommen und ich genieße es alleine zu sein und gleichzeitig halte ich mich für einen „beziehungsfähigen“ Menschen (alleine in diesem Wort steckt schon wieder eine Wertung drin) und ich bin gespannt wann der Typ auftaucht, der mir mehr als ein „Hey“ zu sagen hat und anschließend darauf hofft, dass ich die Konversation übernehme. Wann hat mir Jemand was interessantes über sich selbst zu erzählen und wer interessiert sich wirklich für mich als Menschen? Ich bin gespannt und weiß mittlerweile, dass es kommt wie es kommen soll und wahrscheinlich genau dann, wenn ich nicht damit rechne.

Die Abenteuer- und Reiselust hat mich gepackt und ich weiß, dass ich weiter unterwegs sein möchte und aktuell geht es darum herauszufinden in welcher Form ich das ausleben kann und wie und wo ich gegebenenfalls die passende Arbeit dafür finde. Sollte also Jemand einen Job und das Gefühl haben, dass ich dafür genau die richtige Person bin dann bitte nicht zögern und mir einfach mal eine Nachricht schicken und mir etwas über diese Arbeitsstelle erzählen.

Aktuell werde ich ungefähr wöchentlich darüber berichten wie es mir bei und mit meinem Mutausbruch ergeht und werde mich langsam auch an die Planungen für meinen Livevortrag machen, zu dem ich dann gerne gesondert einladen werde.

Ein Kommentar

  • Renate und Christian

    Hallo Andreas,
    Deine Berichte über den Jakobsweg und danach haben mich fasziniert und meine Erinnerungen an den Weg wieder erweckt. Mir geht es genauso, es ist wie eine Droge, einmal gelaufen, muss man es immer wieder tun. Ich kann Dich gut verstehen. Wir laufen schon das dritte Jahr und überlegen uns schon wieder – kaum zuhause angekommen – wo wir im nächsten Jahr laufen. Der Pilgerweg nach Santiago war ohne Frage der, der uns am meisten berührt hat. In diesem Jahr der Chemin de Stevenson war nicht zu vergleichen. Wer weiß wohin uns die Zukunft bringt. Bon Camino

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