They say the camino starts when you stop walking.
Sie sagen der Camino beginnt, wenn Du aufgehört hast zu laufen. Dieser Spruch stellt sich für mich nach und nach immer mehr als Wahrheit heraus. Nach sechs Wochen auf dem Camino gilt es Zuhause für mich den (meinen) Weg zu finden. Was will ich und was erwarte ich mir von meinem Leben? Einfach so weiter machen wie zuvor oder doch die Erkenntnisse des Weges auch in die Tat umsetzen und „weiter laufen“? Ich hatte tatsächlich den Trip meines Lebens und heute befinde ich mich in einer Art Starre. Nach 840 gelaufenen Kilometern bin ich aktuell gefühlt fast bewegungsunfähig und noch immer bin ich nicht wieder richtig angekommen. Es war meine glücklichste Zeit und gerne würde ich sie festhalten und gleichzeitig sind viele Dinge dabei in Fluss geraten. Festhalten und Bewegung ist schon ein Widerspruch in sich und es braucht Geduld meinerseits, um nun die richtigen Schlüsse aus dem Erlebten zu ziehen. Schon zu oft und zu lange habe ich es meiner Meinung nach versäumt mein Leben zu leben und möchte nicht wieder den gleichen Fehler begehen.
Ich hatte sechs Wochen lediglich einen Rucksack und nur ein paar Kleidungsstücke und dennoch hat mir nichts gefehlt. Will und brauche ich eine feste Wohnung und ein Auto und ist die Sicherheit, die sie mir verleihen höher einzustufen, als die Freiheit, wenn ich beides nicht besitze und unterhalten muss? Dies ist nur eine von vielen Fragen, die ich mir aktuell stelle. Wie sehr möchte ich frei sein und wo braucht es für mich doch noch den ein oder anderen sicheren Anker?
Immer wieder begegnet mir das gleiche Thema und immer wieder nehme ich es mir sehr zu Herzen. Da sind die Menschen, die auf meine Fragen nicht reagieren, die mich vermeintlich damit ignorieren. Es begegnet mir in fast allen Bereichen und ich habe keine Erklärung bzw bin noch nicht dahinter gekommen warum es mich jedes Mal so holt und auch so beschäftigt. Diese Kommunikationsprobleme tauchen online auf und kommen in so einer Häufigkeit vor, dass es ja auch irgendetwas mit mir zu tun haben muss. Ich bin teils mit den Menschen im Gespräch und stelle meine Fragen und bekomme einfach keine Antwort. Ich bin mir sicher, dass mich ein „Nein Danke“ oder eine Absage bei weitem nicht so beschäftigen/verletzen würde, wie diese unbeantworteten Fragen. Sie machen mich hilflos, handlungsunfähig und kosten mich viel Energie, weil ich versuche zu verstehen. Warum bekomme ich keine Antwort und warum steigt das Gegenüber einfach mitten im „Gespräch“ aus? Mir ist bewusst, dass es nicht mein Defizit ist und eher auf der anderen Seite zu suchen ist, aber warum dockt es immer wieder bei mir an? Warum verunsichert es mich und warum kann ich es nicht einfach akzeptieren? Warum ist es für mich so wichtig es zu verstehen? Menschen sind unterschiedlich und entsprechend handeln Menschen auch unterschiedlich. Die Theorie habe ich schon gut verstanden, fehlt mir nur noch die Umsetzung in der Realität.
Eine der häufigsten Antworten der letzten 14 Tage, die ich bekommen oder erlebt habe war „Ich habe keine Zeit“. Wie oft hatte ich in der Vergangenheit auch das Gefühl keine Zeit zu haben und warum „fehlt“ so vielen Menschen vermeintlich Zeit. Haben wir tatsächlich keine Zeit oder woher kommt dieser Eindruck? Ist die Zeit nicht für alle gleich und warum lässt uns eine bestimmte Zeit so sehr in Stress geraten? Hat fehlende Zeit auch etwas mit (Zeit) Management und vielleicht auch Prioritäten zu tun? Nutzen wir die Zeit nicht sinnvoll und warum haben wir gefühlt manchmal zu wenig Zeit und zu einem anderen Zeitpunkt plötzlich Langeweile? Ja, wir leben gedanklich oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft und verpassen dabei manchmal auch die Zeit im Hier und Jetzt. Während ich z. B. all meine Gedanken hier niederschreibe, hätte ich vielleicht auch einfach nur den freien Moment mit mir genießen können.
In diesem Sinne lege ich nun mein Handy zur Seite und springe hier am See ins Wasser.
Ein Kommentar
Cinja
Hallo Andreas,
Sehr schön geschriebener Text. Viele dieser Fragen habe ich mir vor 5 Jahren auch gestellt.
Ich habe damals auch eine längere Auszeit genommen, Wohnung und Job gekündigt und bin 14 Monate gereist, alleine, nur mit meinen Rucksack als einzige Konstante an meiner Seite.
Nach einigen Anpassungsschwierigkeiten hat mich der deutsche Lebensalltag viel zu schnell wieder gefangen genommen.
Ich wünsche dir, dass du den richtigen Weg findest, so dass die Auszeit nicht nur eine Auszeit war, sondern der Beginn zu einem tieferen und vollkommeneren (er-) Leben